Mitteleuropäische Sicherheitskonferenz

Startschuss für vertiefte Zusammenarbeit in Mitteleuropa

Mitteleuropa wächst seit 1989 wieder zusammen. Die mitteleuropäischen Länder wollen nun ihre Zusammenarbeit noch weiter vertiefen, vor allem mit Fokus auf Sicherheit und Migration. Dies war der Tenor bei der „Ersten Mitteleuropäische Sicherheitskonferenz“ am 15. Mai im Wiener Park Hyatt Hotel, an der mehrere Minister und zahlreiche Diplomaten aus mitteleuropäischen Staaten teilnahmen. Die Organisatoren sprachen von einem „Startschuss“: Künftig soll die von Österreich initiierte Konferenz jährlich stattfinden, um die länderübergreifende Zusammenarbeit in Mitteleuropa zu stärken und ein Sicherheitsbewusstsein für den mitteleuropäischen Raum zu schaffen. 

„Es gibt Problemstellungen, die unseren Kontinent berühren und auch von großen europäischen Ländern alleine nicht gelöst werden können“, unterstrich eingangs der Nationalratsabgeordnete Markus Tschank unter Verweis auf die Migrationskrise im Jahr 2015 und 2016. Es bedürfe der verstärkten mitteleuropäischen Integration und Koordination im Sicherheitsbereich, die komplementär zur deutsch-französischen Achse wachsen müsse, als „spürbare verstärkende Stütze für Europa und die Union“. Tschank ist Präsident des Instituts für Sicherheitspolitik, das diese auf Initiative von Außen- und Verteidigungsministerium stattfindende Tagung organisiert hat. Als Partner fungierten der St. Georgs-Orden, die Paneuropa Bewegung Österreich, SECI (Südosteuropäische Kooperationsinitiative) sowie die Universität Wien.

„Es gibt Potenzial nach oben“

Erste Kooperationsbemühungen in Mitteleuropa müsste weiter vertieft werden, sagte Tschank. „Es gibt Potenzial nach oben.“ Der Nationalratsabgeordnete ist überzeugt: Europa wird sich künftig sicherheitspolitisch so integrieren, „dass seine primäre Aufgabe nicht in immer tiefer integrierten Bürokratiestrukturen, sondern in immer stärker entwickelten Sicherheitsleistungen für seine Bürger bestehen muss.“ 

Große Hoffnungen in die Zusammenarbeit in der Region setzt auch Verteidigungsminister Mario Kunasek, der den Teilnehmern eine Videobotschaft zukommen ließ, da er selber gerade in Kroatien war: „Die Region Mitteleuropa hat im Laufe der Jahrhunderte bewiesen, wie Einheit durch Vielfalt funktionieren kann.“ Nun seien zukunftsweisende und gemeinsame Maßnahmen für die Sicherheit der Bürger in Mitteleuropa erforderlich. Die Mitteleuropäische Sicherheitskonferenz schließe hier „eine längst überfällige Lücke“. Optimistisch fielen auch die Worte von Infrastrukturminister Norbert Hofer aus: „Ich bin fest überzeugt, dass das ein starker Beginn ist für eine enge Klammer zur Zusammenarbeit im Sinne einer Stärkung dessen, was uns wichtig ist, nämlich Friede, Freiheit und Wohlstand in Österreich, in Mitteleuropa und in der Europäischen Union.“ 

Vom Haus Habsburg bis heute geprägt

Als „Raum, in dem sich die Geschichte der Habsburger Monarchie entfaltete“, definierte Außenministerin Karin Kneissl Mitteleuropa. Eine „vielschichtige und zugleich gemeinsame Lebenskultur“ sei für diesen Raum kennzeichnend. Diese zeige sich etwa darin, dass – hier zitierte Kneissl den Publizisten Wolfgang Broer – „ein Ladiner und Friauler, ein Kroate und Slowene, ein Mährer und ein Bayer, ein Slowake und ein Triestiner einer imaginären Mitte zugeordnet sind, die jedenfalls nicht in London, Paris oder Moskau zu lokalisieren ist“. Heute seien die Länder Mitteleuropas enge Freunde und Partner Österreichs bei dessen Einsatz „für eine stärkere EU in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung“. Kneissl zitierte auch SKKH Otto von Habsburg: „Je weiter wir die Grenzen der Freiheit nach Osten verschieben, desto sicherer wird die Mitte.“ 

Zu den Teilnehmern der anschließenden Podiumsdiskussion gehörte unter anderem der stellvertretende Großmeister des St. Georgs-Ordens und Sonderbotschafter Ungarns, SKKH Georg von Habsburg. „Mitteleuropa wurde nicht zusammengeschoben, sondern ist organisch gewachsen“, unterstrich er. Auch heute noch könne man von der Habsburgermonarchie lernen: „Nur in der österreichisch-ungarische Armee gab es Militärbischöfe, Militärimame und Militärrabbiner, die gemeinsam für den Erfolg der Armee beteten.“ In den südosteuropäischen Staaten hat man das nicht vergessen. Nun sei es von vorrangigem Interesse – gerade mit Blick auf unsere Sicherheit – die südosteuropäischen Staaten „so schnell wie möglich an die EU heranzuholen.“

Die Schockwirkung der Flüchtlingskrise

Einen nachhaltigen Eindruck hat der Herbst 2015 hinterlassen, wie speziell die Diskutanten aus Österreichs Nachbarstaaten deutlich machten. Einig war man sich, dass sich ein unkontrollierter Zustrom wie damals nicht mehr wiederholen darf. Sehr deutlich wurde etwa die Innenministerin Sloweniens Vesna Györkös Žnidar: „Szenarien wie 2015 und 2016 sind inakzeptabel.“ Bis heute seien die Maßnahmen der EU gegen illegale Immigration ungenügend. „Diese Situation gefährdet die Grundlagen der EU.“ Als mehr als 1,5 Millionen Migranten über eine Westbalkanroute in die EU kamen, sei klar geworden, „dass die EU als ganze dieser Herausforderung nicht gewachsen ist.“ Žnidar lobte aber die „exzellente Kooperation“ in dieser Zeit mit der damaligen österreichischen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. 

Ähnliche Worte fand die Ministerin für die bulgarische EU-Ratspräsidentschaft Lilyana Pavlova: „Vor zwei Jahren herrschte Chaos.“ Länder, die an die Krisenregionen grenzten, fühlten sich im Stich gelassen. Das müsse sich ändern. „Ansonsten kommt die nächste Krise und wir sind wieder nicht vorbereitet.“ Und: „Wir wollen nicht mehr diskutieren, sondern handeln.“

Auch Erhard Busek, Sonderkoordinator der SECI (Südosteuropäische Kooperationsinitiative), kritisierte in diesem Punkt die EU: „Es gibt keinen Mechanismus in der EU, um sich mit diesem Problem auseinanderzusetzen.“ Die Instrumente fehlten. Sie zu entwickeln werde freilich mehr Geld kosten, das die Staaten dann auch zu zahlen bereit sein müssten. 

 „Arroganz gegenüber Ost- und Mitteleuropa“

Scharfe Kritik übte Busek auch an der gegenwärtigen „Arroganz Westeuropas gegenüber Ost- und Mitteleuropa“. Er sei zwar in manchen Fragen mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán ebenfalls nicht einer Meinung, allerdings habe dieser Recht gehabt mit seinem Vorwurf, „dass die EU im Jahr 2015 Schengen verletzt hat, als die Migration uferlos ohne Aufzeichnung der Personen stattgefunden hat.“ Ebenso bemängelte Busek, dass Mittel- und Osteuropäer in der Führung der EU in der Minderzahl sind. Die ehemals kommunistischen Länder hätten eine andere Geschichte, aber man könne die Unterschiede „im persönlichen Gespräch und in der Auseinandersetzung klären, doch leider findet diese Auseinandersetzung viel zu wenig statt.“ 

Die nach wie vor „geringen Kenntnisse über Mitteleuropa“ in der Bevölkerung seien „ein Bildungs- und ein Medienproblem.“ Im Bereich der Infrastruktur könne auch einiges getan werden. „In der Habsburgermonarchie brauchte man mit dem Zug von Wien nach Krakau vier Stunden. Heute sind es acht.“ Früher konnte man auch von Wien nach Triest mit der Bahn fahren.

Europa muss mehr tun

Kein Teilnehmer bezweifelte, dass bald eine neue Migrationswelle auf Europa zukommen wird. „Die Frage ist nicht, ob sie kommt, sondern wann sie kommen wird“, unterstrich Georg von Habsburg. Man wisse etwa nicht, wie sich die Situation der Christen in Ägypten weiterentwickeln wird. Eine veränderte politische Lage könne dort sofort eine neue Flüchtlingswelle auslösen. Habsburg wünscht sich ebenfalls viel mehr Aktivität der EU: „Wenn ich mich zurückerinnere an die Wirtschaftskrise und Griechenland: Damals fand alle zwei Wochen ein Gipfeltreffen der EU statt. Ich würde mir wünschen, dass sich die EU genauso intensiv mit der Frage der Migration auseinandersetzt.“ 

Auch konkrete Vorschläge wurden während der Diskussion besprochen. Die bulgarische Ministerin Lilyana Povlova stellte etwa einen von Bulgarien während der Ratspräsidentschaft entwickelten neuen Mechanismus innerhalb der EU vor, auf den sich die europäischen Staaten aber noch einigen müssen. „Der bulgarische Ansatz ist auf Vorbeugung über neue Außenstellen ausgerichtet.“ Über diesen Mechanismus könne man mit Hilfe von neuen finanziellen Ressourcen und technischer Unterstützung proaktiv sein, rechtzeitig informieren und agieren, wenn eine weitere Flüchtlingswelle über Europa hereinbricht. Auch das Budget für den Außengrenzenschutz und für Frontex soll demnach massiv erhöht werden. Povlova hofft auf eine Einigung noch vor Ende der bulgarischen Ratspräsidentschaft. Dann könne die österreichische Präsidentschaft hier anknüpfen. Povlova lobte dabei die exzellente Zusammenarbeit mit Österreich, das für seine EU-Präsidentschaft ähnliche Prioritäten gesetzt hat. „Es braucht ein Europa, das schützt.“ Und: „Vereint sind wir stark.“ 

Regionale Kooperation, Außengrenzenschutz, Asyl

Auch die slowenische Ministerin Vesna Györkös Žnidar machte deutlich: „Wir brauchen regionale Kooperation. Nationale Maßnahmen allein reichen nicht aus.“ Unerlässlich sei darüber hinaus ein „effektiver Außengrenzschutz“, ohne den Schengen nicht funktionieren kann. Bis heute sind die Außengrenzen der EU „ungenügend geschützt“. Darüber hinaus dürfe „das Asylsystem nicht als Migrationsweg zur EU verwendet werden“. Migranten sollten an den Außengrenzen gestoppt werden. Sobald sie europäischen Boden betreten haben, werde es extrem schwierig, sie wieder loszuwerden. Mittlerweile gebe es zig tausende Personen, „die nicht die Bedingungen für einen legalen Aufenthalt im Land erfüllen. Sie wandern von einem Land zum nächsten. Das ist eine ernste Herausforderung für unsere Sicherheit. Darauf muss die EU eine Antwort finden.“ 

„Ein weiter Weg liegt vor uns“, unterstrich der stellvertretende kroatische Minister für Verteidigungspolitik Petar Mihatov. Zur Zeit entstehen neue Balkanrouten. Man müsse wachsam sein. Auch Mihatov erklärte: „Wir sollten jetzt agieren, anstatt zu warten, bis die Dinge außer Kontrolle geraten.“ Europa sei bisher im Bereich der Sicherheit nicht sehr gut aufgestellt gewesen: „Die Verteidigung lag lange Zeit vor allem in den Händen der Nato.“ Nun gebe es ein Umdenken. Hier sieht Mihatov positive Entwicklungen. Künftig sei eine effektive Arbeitsaufteilung zwischen der Nato und der EU denkbar. Wichtig sei zu wissen, was man sich von der EU und was von der Nato erwarten könne. 

Europas geopolitische Stellung in der Welt

Markus Tschank hofft, dass die mitteleuropäische Kooperation auch jetzige Mängel der EU ausgleiche kann: Da die Mechanismen in der EU zurzeit fehlen, um Herausforderungen der Migration zu meistern, müssten die Kleinstaaten in Mitteleuropa „zusammenrücken, eigene Plattformen schaffen und eigene Mechanismen entwickeln. Das ist die einzige Alternative, um diese Lücke zu füllen.“ 

Gleichzeitig sieht aber auch Tschank die EU als ganze gefordert, um Europas Stellung in der Welt geopolitisch zu stärken: „Die Zeit des Interessenautomatismus mit den USA ist vorbei“, meinte er unter Verweis auf die neue US-Außenpolitik von Präsident Trump („America first“). „Europa ist nun stärker auf sich allein gestellt.“ Auch Infrastrukturminister Hofer hielt fest: „Die EU wird für uns in ihrer Bedeutung immer wesentlicher. Als einzelne Mitgliedsländer können wir in diesem globalen Wettbewerb der Supermächte aus meiner Sicht nicht bestehen.“ 

Dass gerade ein gut zusammenarbeitendes Mitteleuropa auch Europa stärken kann und soll, unterstrich unter anderem Außenministerin Kneissl. Sie verwies auf das neue Buch von Erhard Busek und Emil Brix „Mitteleuropa revisited: Warum Europas Zukunft in Mitteleuropa entschieden wird“.  Die zentrale These darin lautet: „Mitteleuropa ist die Zukunft Europas“. Kneissl hielt fest: „Wenn wir diese These als Grundlage unserer Diskussion nehmen, dann tragen wir die Verantwortung nicht nur unserer eigenen Sicherheit. Mitteleuropa braucht Europa und Europa braucht Mitteleuropa.“